Solide finanziert
3 Gründe, die gegen eine Immobilienblase in Deutschland sprechen
München, 15.01.2017 | 09:14 | fra
Historisch niedrige Bauzinsen, mehr Immobilienfinanzierungen, steigende Immobilienpreise: So hat die Finanzkrise in den USA begonnen. Vergleichbare Bedingungen herrschen derzeit in Deutschland und schüren die Angst vor einer Immobilienblase – zu Unrecht, findet das Institut der deutschen Wirtschaft.
Vergeben Banken in großer Zahl Immobilienkredite nach laxen Kriterien, kann dies zum Entstehen einer Immobilienblase beitragen. Unter anderem zum Schutz davor hat die Europäische Union die Wohnimmobilienkreditrichtlinie geschaffen. Seit März 2016 ist sie in deutsches Recht umgesetzt, die Zahlungsfähigkeit von Kaufinteressenten vor der Darlehensvergabe wird nun strenger bewertet. Zudem will die Bundesregierung mit einem neuen Gesetz der Finanzaufsicht Bafin ermöglichen, bei Anzeichen für eine Blase die Vergabe von Baugeld einzuschränken.
Vorkehrungen sind also getroffen oder auf dem Weg, trotzdem wird auch hierzulande in letzter Zeit immer wieder über eine mögliche Immobilien- und Kreditblase diskutiert. Doch gerade in Deutschland sei diese Angst unbegründet, befindet eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Aus Sicht der Verfasser sprechen gleich drei Gründe dagegen. Und die haben nicht zuletzt mit typisch deutschen Tugenden zu tun.
1) Die Finanzierung: Deutsche gehen trotz Niedrigzinsen kein Risiko ein
Die Zinsen für Baukredite sind seit der Finanzkrise erheblich gesunken. Je nach Zinsbindung erhalten Häuslebauer und Wohnungskäufer eine passende Finanzierung aktuell schon ab einem Zinssatz von unter einem Prozent. Infolgedessen wagen zwar immer mehr Deutsche den Schritt ins Eigenheim – an die Finanzierung gehen sie aber weiterhin mit Bedacht heran, auch, weil Banken und Versicherer ein Auge darauf haben.
Das zeigt sich etwa bei der Wahl der anfänglichen Tilgung: Statt für höhere Finanzierungssummen nutzen deutsche Immobilienkäufer die niedrigen Zinsen für eine schnellere Rückzahlung ihrer Baufinanzierung. Anders formuliert: Was sie pro Monat an Zinsen einsparen, investieren sie in die Tilgung ihres Darlehens. Während der überwiegende Teil der deutschen Immobilienkäufer vor der Krise noch eine anfängliche Tilgung von einem Prozent vereinbarte, liegt die Anfangstilgung laut Studie inzwischen bei jeder zweiten Baufinanzierung bei zwei Prozent. Jede dritte Baufinanzierung tilgen die Deutschen im ersten Jahr der Rückzahlung sogar zu mehr als zwei Prozent.
Auch in puncto Sollzinsbindung nutzen die Deutschen das Zinstief für sich: So vereinbaren Häuslebauer und Immobilienkäufer zunehmend längere Zinsbindungsfristen mit der Bank – das heißt sie sichern sich die Zinsen für einen möglichst langen Zeitraum. Der IW-Studie zufolge ist der Anteil der Darlehen mit über zehnjähriger Zinsbindung zwischen 2004 und 2016 von 31 auf 47 Prozent gestiegen. Vor allem seit 2014, also mit rückläufigem Zinsniveau, sei ein Trend zu längeren Zinsbindungen zu beobachten.
Doch was genau sagen nun die Höhe der Anfangstilgung und die Dauer der Sollzinsbindung über die Wahrscheinlichkeit einer Immobilienblase aus? Das zeigt sich bei einem Vergleich mit den USA und dem Vereinigten Königreich. Dort nämlich hatte die Vergabe von Baudarlehen ohne oder mit allenfalls geringer Anfangstilgung bei zugleich variabler Verzinsung – also fehlender Sollzinsbindung – dafür gesorgt, dass viele Immobilienkäufer mit steigendem Zinsniveau ihre Raten nicht mehr begleichen konnten. Sie waren überschuldet und verloren Haus oder Wohnung an die Bank, die ihrerseits wegen gleichzeitig wieder rückläufiger Immobilienpreise die ausstehenden Schulden nicht wieder einspielen konnte.
Demgegenüber sind deutsche Haushalte einem möglichen Zinsanstieg der langen Zinsbindung wegen nicht sofort schutzlos ausgesetzt. Aufgrund der höheren Tilgung fällt zudem der Betrag geringer aus, der nach dem Ende der Zinsfestschreibung zu gegebenenfalls höheren Zinsen neu finanziert wird. Insgesamt ist hierzulande also das Risiko deutlich geringer als seinerzeit in den USA und im Vereinigten Königreich – auch wegen eines dritten Faktors: dem Eigenkapital.
Bei der Gewährung eines Baudarlehens setzen deutsche Banken in der Regel einen Eigenkapitalanteil von etwa 20 Prozent des Kauf- oder Baupreises voraus. Auch die Nebenkosten der Finanzierung – also Makler-, Notar- und Grundbuchkosten – müssen angehende Wohneigentümer im Normalfall aus eigenen Mitteln aufbringen. Erfreulich: Bei mehr als jeder dritten Baufinanzierung bringen die Deutschen sogar mehr Eigenkapital ein als gemeinhin gefordert und leihen sich nur 60 Prozent des Objektwertes von der Bank. Allerdings geben die Studienautoren des IW gleichzeitig kritisch zu bedenken, dass auch die Zahl derer, die nicht die übliche Eigenkapitalquote erreichen, in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Das ist auch deshalb problematisch, weil solche Finanzierungen mit einem Beleihungsauslauf von mehr als 80 Prozent oftmals mit einem Zinsaufschlag verbunden sind und damit die Zinslast für den Immobilienkäufer zusätzlich erhöhen.
2) Der Kreditnehmer: Deutsche stehen finanziell und beruflich fest im Leben
Er ist etwa 50 Jahre alt, verheiratet, voll berufstätig und verdient besser als der typische Mieter: der durchschnittliche deutsche Immobilienkäufer. Im internationalen Vergleich lassen sich die Deutschen verhältnismäßig viel Zeit, ehe sie den Schritt ins Eigenheim wagen, und sind damit zum Zeitpunkt der Kreditaufnahme finanziell schon stärker abgesichert – ein solides Fundament für eine Baufinanzierung. Und das hat sich in den letzten Jahren sogar noch verbessert: So ist die in Anspruch genommene Baufinanzierungssumme auch wegen höherer Immobilienpreise zuletzt zwar gestiegen – allerdings langsamer als das Einkommen des durchschnittlichen deutschen Immobilienkäufers. Deutsche Haushalte verschulden sich im Verhältnis zu ihrem Einkommen beim Bau oder Kauf ihrer eigenen vier Wände also heute weniger.
Wie wichtig derart solide Einkommensverhältnisse aufseiten der Kreditnehmer sind, hat sich ebenfalls im Vorfeld der Krise in den USA gezeigt: Dort nämlich hatten Banken vermehrt auch bonitätsschwachen Kunden eine Immobilienfinanzierung genehmigt.
Jeder fünfte Immobilienkäufer ist Rentner
Seit der Umsetzung der EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie in deutsches Recht wurde vor allem über die Folgen für junge Familien und Rentner gestritten. Die IW-Studie zeigt nun: Gerade letztere machen mit einem Fünftel einen nicht unwesentlichen Teil aller Haus- und Wohnungskäufer in Deutschland aus. Sie bilden eine Kundengruppe, bei der ein Kreditausfall nach Einschätzung der Autoren besonders unwahrscheinlich ist. Denn diejenigen Rentner, die eine Immobilie finanzieren, seien finanziell gut gestellt und gingen weniger Risiken ein.
3) Die Banken und das Kreditvolumen: In Deutschland herrscht Zurückhaltung
Doch nicht nur aufseiten der Kreditnehmer und der Finanzierung sehen die Studienautoren des IW wenige Gründe für die Annahme, dass sich in Deutschland eine Immobilienblase bilden könnte. Bankenseitig gibt es ihrer Einschätzung nach ebenso wenig Grund zur Sorge. Ob Eigenkapital oder Einkommensverhältnisse: Die Geldhäuser hierzulande legen strenge Maßstäbe für die Vergabe von Baukrediten an. Und auch das Kreditvolumen in der Bundesrepublik ist laut der Studie unbedenklich. Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt ist die Gesamtsumme aller Baudarlehen in Deutschland – im Gegensatz etwa zu Spanien vor Beginn der Krise – nicht überproportional hoch.
Fazit: Kein Grund für eine weitere Verschärfung
Obwohl es zunächst anders scheint, ist nach Einschätzung des IW „die aktuelle Lage im Wohnimmobilienfinanzierungsmarkt keineswegs vergleichbar mit der Situation in den USA, im Vereinigten Königreich oder in Spanien vor der Finanzkrise 2008.“ Aus diesem Grund halten die Studienautoren weitere Interventionen auf dem deutschen Kreditmarkt für nicht notwendig. Im Gegenteil: „Weitere Verschärfungen bei der Wohnimmobilienfinanzierung […] würden sich eher nachteilig auf Haushalte und Banken auswirken“, so das Fazit der Studie.