Bundesverfassungsgericht spricht Urteil
Berechnung der Grundsteuer verfassungswidrig - was nun folgen könnte
München, 10.04.2018 | 15:59 | sap
Die Bemessung der Grundsteuer bei Immobilien ist verfassungswidrig. Das urteilt das Bundesverfassungsgericht – mit weitreichenden Folgen für Eigentümer und Mieter.
Die aktuelle Berechnung der Grundsteuer für Immobilien ist verfassungswidrig, entschied das Bundesverfassungsgericht. „Völlig überholt“ sei das System und führe zu „gravierenden Ungleichbehandlungen“ der Immobilienbesitzer, zitiert unter anderem Spiegel Online die Richter aus Karlsruhe. Der Bundesfinanzhof hatte das Verfassungsgericht angerufen, weil er die Vorschriften als unzulässig eingestuft hatte.
Jetzt muss die Große Koalition bis Ende 2019 eine Neuregelung schaffen – sollte diese Frist ungenutzt verstreichen, dürften die derzeitigen Regeln nicht mehr angewandt werden. Betroffen sind von der Änderung nicht nur Eigentümer von 35 Millionen Grundstücken, sondern auch rund 41 Millionen Wohnungsmieter, da Vermieter rechtmäßig die Grundsteuer über die Nebenkosten auf die Mieter umlegen dürfen. Wie die Grundsteuer bisher erhoben wurde und welche drei alternativen Modelle diskutiert werden, haben wir zusammengefasst.
Das Problem bei der aktuellen Bemessung
Im aktuellen System wird die Grundsteuer auf Basis von Einheitswerten erhoben. Dabei geht es beim Einheitswert nicht darum, einheitliche Werte für Grundstücke zu definieren, sondern einen spezifischen Wert für jedes einzelne Grundstück, also für jede Einheit, zu ermitteln. Der Einheitswert eines Grundstücks zu einem bestimmten Stichtag stammt im Westen aus dem Jahr 1964, im Osten Deutschlands sogar aus dem Jahr 1935. Diese Einheitswerte für die Grundsteuer sind trotz massiver Veränderungen von Gemeinden und Städten gleichgeblieben. Ursprünglich sollten sie alle sechs Jahre aktualisiert werden, wie Spiegel Online berichtet.
So berechnet sich aktuell die Grundsteuer
Für jedes der 35 Millionen Grundstücke in Deutschland erlassen die zuständigen Finanzämter einen individuellen Bescheid. Sie bestimmen den Einheitswert anhand Lage, Nutzung und Bebauung des Grundstücks. Dieses Ergebnis multiplizieren die Finanzämter mit dem Hebesatz der jeweiligen Gemeinde, die die Höhe des Hebesatzes laut Grundgesetz selbst bestimmen darf. In Witten (Nordrhein-Westfalen) zahlen Immobilienbesitzer von Wohnhäusern einen Hebesatz von 910 Prozent, in Ingelheim (Rheinland-Pfalz) sind es hingegen nur 80 Prozent.
Mehrkosten durch das „Kostenwertmodell“?
Die Mehrheit der Bundesländer hat im Bundesrat bereits 2016 das „Kostenwertmodell“ vorgeschlagen. Dafür sollen Grundstücke und Gebäude neu bewertet werden. Den Bodenwert ermitteln die zuständigen Behörden aus dem Bodenrichtwert, den die Gemeinden regelmäßig einschätzen, und der Grundstücksgröße. Der Wert des Gebäudes ist laut Gesetzesentwurf von den „Pauschalherstellungskosten“ abhängig, also den Baukosten, die im Baujahr angefallen sind. Je älter das Gebäude ist, desto höher ist die vom Gesetz vorgesehene Alterswertminderung, die vom Herstellungswert abgezogen wird. Davon könnten Besitzer von Altbauten profitieren, die einen großen Teil des Werts abschreiben und geringere Herstellungskosten als Neubaubesitzer ansetzen dürften. Für Neubauten hingegen wird die Grundsteuer wahrscheinlich teurer werden.
Der Bundesrat rechnete bei der Gesetzesinitiative damit, dass die Neubewertung rund zehn Jahre dauere – damit würde die Frist des Gerichts deutlich überschritten. Abgesehen von der langwierigen Umsetzung vermutet der Eigentümerverband Haus und Grund auch, dass sowohl Immobilienbesitzer als auch Mieter mit diesem Modell deutlich mehr Grundsteuer zahlen müssen. Der Verband errechnete mit Angaben von rund 500 Eigentümern, dass sich die Grundsteuer in einigen Fällen vervierzigfachen könnte. Der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA), der mehr als 25 Verbände und rund 37.000 Immobilienunternehmen vertritt, spricht im Schnitt von einer Verzehnfachung der Grundsteuer.
Um solche extremen Preissprünge zu vermeiden, könnten die Gemeinden niedrigere Hebesätze ansetzen. „Nach den bisherigen Erfahrungen ist damit aber kaum zu rechnen“, sagte Hans Joachim Beck, Steuerexperte des Immobilienmaklerverbandes IVD, in einer Mitteilung des Verbandes.
„Südländer-Modell“ will Grundstücksgröße und Nutzfläche bemessen
Als Alternative zum „Kostenwertmodell“ schlugen die Bundesländer Hessen, Bayern und Baden-Württemberg vor, die Basis der Besteuerung so einfach wie möglich zu halten. Im sogenannten „Südländer-Modell“ würde die Grundsteuer nur nach der Größe des Grundstücks und der Nutzfläche bemessen. Die verschiedenen Nutzungsarten sollen durch unterschiedliche Multiplikatoren berücksichtigt werden.
Auch die Verbände ZIA und IVD plädieren für diese Lösung. „Ein solches Modell hätte den Vorteil, dass steigende Grundstückspreise und Baukosten nicht zu einem automatischen Anstieg der Grundsteuer führen würden“, sagte IVD-Präsident Jürgen Michael Schick in einer Mitteilung des Verbandes. Hinzu kommt, dass das „Südländer-Modell“ für die Behörden schneller und einfacher umzusetzen sei, betont Hans Volkert Volckens, Vorsitzender des ZIA-Ausschusses Steuerrecht.
Reine Bodensteuer beim „Bodenwertmodell“
Der Deutsche Mieterbund und das Institut für Deutsche Wirtschaft Köln (IW Köln) hoffen auf eine Einführung des sogenannten „Bodenwertmodells“. Das würde die Grundsteuer zu einer reinen Bodensteuer formen, die nicht zwischen bebauten und unbebauten Grundstücken unterscheidet. Der Deutsche Mieterbund sieht darin einen großen Vorteil: Das „Bodenwertmodell“ fördere Investitionen in den Bau von Häusern und Wohnungen, weil sich durch die Bodensteuer eigennützige Spekulationen um Grundstücke verteuern würden. Wer sein Grundstück unbebaut lässt, müsste demzufolge genauso viel Grundsteuer zahlen, wie der Nachbar mit einem Einfamilienhaus.
Nach einer Modellrechnung des Mieterbundes würden durch die reine Bodensteuer Mehrfamilienhäuser und somit überwiegend Mieter deutlich entlastet werden. „Die Grundsteuer würde sich für die einzelnen Wohnungen in Mehrfamilienhäuser im Durchschnitt halbieren“, sagte Dirk Löhr, Professor für Steuerlehre und Ökologische Ökonomie an der Hochschule Trier, in einer Mitteilung des Deutschen Mieterbundes. Die Grundsteuer für Einfamilienhäuser würde sich hingegen verteuern. Das IW Köln bewertet beim Bodenwertmodell zusätzlich positiv, dass sich die Bodenwerte einfacher neu berechnen lassen als Gebäude, da Bodenrichtwerte und Grundstücksgrößen beinahe flächendeckend vorlägen.