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Wenn der Einkauf immer teurer wird: Viele Verbraucher nehmen die Inflation stärker wahr, als sie tatsächlich ist.
Wann immer er einkaufen geht, ärgert sich Jens Boehm. „Der Kaffee, der ist doch deutlich teurer geworden, und das Obst erst!“ Das macht sich in Boehms Geldbeutel bemerkbar: Von Einkauf zu Einkauf bleibt gefühlt immer weniger vom Budget übrig. Auch seiner Frau Martina ist das aufgefallen. Neulich noch hatten sie sich im Supermarkt darüber unterhalten. Beim Blick in die Zeitung dann die Überraschung: Die Inflation habe sich wieder etwas abgeschwächt, heißt es da. Von 1,6 Prozent Teuerung pro Jahr ist die Rede. „Das haut doch hinten und vorne nicht hin“, schimpft Boehm.
Die Boehms könnten auch Schmidt oder Meyer heißen: eine typische deutsche Familie. Wie unseren fiktiven Verbrauchern geht es vielen, nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten Europäischen Union. Das zeigen aktuelle Zahlen der Europäischen Zentralbank (EZB). Die hat Bürger befragen lassen, wo ihrer Ansicht nach die Inflation liegt, und kam zu dem Schluss: Verbraucher in der EU schätzen den Anstieg der Preise als viel gravierender ein, als er der Statistik zufolge ist. Während die tatsächliche jährliche Teuerung zwischen Januar 2004 und Juli 2015 EU-weit im Schnitt 2,0 Prozent betrug, hatten die Verbraucher während dieser Zeit das Gefühl, die Preise seien um durchschnittlich 9,8 Prozent pro Jahr gestiegen. In der Eurozone lag die wahrgenommene Inflation bei 9,5 Prozent, gegenüber einem statistischen Wert von 1,8 Prozent. Hierzulande lagen Verbraucher in ihrer Einschätzung etwas näher an der Statistik. Mit 6,6 Prozent gegenüber 1,6 Prozent drifteten aber auch in Deutschland Wahrnehmung und Realität noch deutlich auseinander. Doch warum ist das so?
✓ Schweden: 2,4 % p. a. (tatsächlich 1,3 %)
✓ Finnland: 3,7 % p. a. (tatsächlich 1,8 %)
✓ Dänemark: 4,1 % p. a. (tatsächlich 1,6 %)
✓ Rumänien: 20,1 % p. a. (tatsächlich 5,7 %)
✓ Bulgarien: 19,5 % p. a. (tatsächlich 4,2 %)
✓ Kroatien: 17,8 % p. a. (tatsächlich 2,4 %)
„Wir kaufen nicht anders ein als früher und trotzdem zahlen wir deutlich mehr“, beschwert sich Boehm gegenüber seiner Frau. Ihm will sich die aktuelle Inflationsrate so gar nicht erklären. Was Boehm nicht weiß: Die Inflationsrate berücksichtigt nicht alle Preisveränderungen, die er wahrnimmt. Wenn zum Beispiel der Kaffeehersteller seine Qualitätsstandards erhöht, wird das von den Statistikern in der Berechnung der Teuerungsrate berücksichtigt, Boehm aber bekommt das gar nicht mit. Außer eben beim Preis.
Ein weiterer möglicher Grund für die von der Statistik abweichende Wahrnehmung: Das Einkaufsverhalten jedes Verbrauchers ist unterschiedlich. Wer etwa wie Jens Boehm jeden Einkauf mit dem Auto erledigt und darin auch den Weg zur Arbeit sowie regelmäßig Fahrten zur Verwandtschaft zurücklegt, bei dem kommt die Inflation wegen der zuletzt deutlich gestiegenen Benzinpreise wesentlich stärker spürbar im Geldbeutel an als bei einem, der jede Strecke mit dem Fahrrad oder der Bahn zurücklegt. Kurzum: Die Wahrnehmung der Inflationsrate ist auch und vor allem von den individuellen Ausgaben abhängig. Die Statistik kann zwar Werte für den Durchschnitts-Verbraucher berechnen, aber Aussagen für jeden Einzelnen treffen kann sie eben nicht.
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Die für den 52-jährigen Boehm wenig nachvollziehbare Statistik mag das eine sein, dass ihm sein 24-jähriger Sohn so gar nicht zustimmen will, ist das andere. Der nämlich findet, dass sich die Preise gar nicht so sehr erhöht haben. Auch hier ist Familie Boehm alles andere als ein Einzelfall, wie die EZB-Studie deutlich macht. Ihr zufolge neigen Verbraucher umso mehr zur Überschätzung der Inflationsrate, je älter sie sind. Daneben spielen auch das Geschlecht, das Einkommen und der Bildungshintergrund eine Rolle. Männer kommen mit ihrer Wahrnehmung der Statistik demnach näher als Frauen, Verbraucher mit einem höheren Abschluss oder einem höheren Einkommen näher als jene mit einem niedrigeren Bildungsabschluss oder Geringverdiener. Warum genau das so ist, lässt die Studie allerdings offen.
Eines aber können Verbraucher aus der Studie lernen: Auch wenn das persönliche Einkaufsverhalten von dem des Durchschnitts-Verbrauchers abweicht und die Produkte wegen qualitativer Verbesserungen zugleich teurer werden, so ist die Inflation oftmals doch nicht so gravierend, wie zunächst gedacht.
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