Immer mehr Banken geben die Strafzinsen der Europäischen Zentralbank an ihre Kunden weiter. Andere senken ihre Zinsen beständig Richtung Null. Verpflichtet sind sie dazu nicht. Wieso tun sie es trotzdem?
Historisch
günstige Kredite auf der einen Seite,
teure Girokonten und
Strafzinsen beim Tagesgeld auf der anderen: Mit solchen Schlagzeilen machen seit einiger Zeit immer mehr Banken von sich reden. Beides gilt letztlich als Folge der
aktuellen Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Eigentlich können Banken die Konditionen für ihre Kunden aber – im Rahmen des gesetzlich Erlaubten – nach Belieben selbst festlegen. Nur woher kommen dann die Strafzinsen?
Wie Privatpersonen ein Girokonto bei einer Bank führen, um am Wirtschaftsleben teilzunehmen, führen auch Banken eine Art Girokonto bei der EZB. Hier liegt das Geld, das sie täglich einnehmen. Und von hier können sie auch das Geld abziehen, das sie z.B. als Kredit an einen Kunden vergeben oder das sie in dessen Auftrag an Konten bei anderen Banken überweisen. So behält die Zentralbank stets die Kontrolle über das im Umlauf befindliche
Buchgeld. Den Geldfluss steuert sie über
die Zinssätze. Wie bei einem gewöhnlichen Girokonto legt die EZB nämlich unterschiedliche Zinsen fest, etwa für die Überziehung des Kontos oder für Guthaben.
Hat eine Geschäftsbank ihr Konto kurzfristig überzogen, erhebt die EZB Zinsen zum sogenannten Spitzenrefinanzierungssatz, der im Prinzip grob dem
Dispozins beim Girokonto entspricht, mit 0,25 Prozent aber deutlich günstiger ist als die klassische Kontoüberziehung. Leiht sich die Geschäftsbank längerfristig Geld, zahlt sie den Hauptrefinanzierungssatz. Dieser liegt aktuell bei 0,00 Prozent. Das heißt, die Bank kann sich kostenlos mit Geld versorgen und damit Kredite zu sehr niedrigen Zinsen an Unternehmen oder Privatleute vergeben. Hat die Bank dagegen Überschüsse bei der Zentralbank, kommt der sogenannte Einlagensatz zum Tragen. Dieser beträgt aktuell Minus 0,40 Prozent – ein Strafzins.
Warum die Banken den Strafzins bezahlen
Wer als Privatkunde von Strafzinsen betroffen ist oder einfach nur mehr aus seinem Geld machen möchte, kann
einfach die Bank wechseln und das Angebot mit den besten Konditionen annehmen. Auch Banken haben eine Reihe an Alternativen zum Strafzins: So können sie ihre Überschüsse zum Beispiel in Form von Krediten verleihen und dabei noch Zinseinnahmen erzielen – oder zum Beispiel in Fremdwährungen oder Aktien investieren. Allerdings bergen solche Geldanlagen auch Nachteile: So muss die Bank etwa das Risiko von Kursschwankungen oder Kreditausfällen tragen.
Eine andere Möglichkeit bestünde darin, das Geld in Form von Bargeld oder auch Gold einzulagern. Bei großen Mengen davon fallen aber ebenfalls hohe Kosten an, zum Beispiel für die Lagerung, das Wachpersonal oder den Transport. „Das Einzige, was die Banken davon abhält, nur noch Bargeld zu halten, sind die Kosten der Aufbewahrung der Banknoten in den Tresoren“, schloss kürzlich Ökonom Hans Werner Sinn in einem Gastbeitrag bei der Frankfurter Allgemeinen. Außerdem kann eine Bank ihr Guthaben bei einer anderen Geschäftsbank anlegen. Allerdings steht diese dann ebenfalls wieder vor der Frage, wo sie ihr Guthaben günstig und sicher anlegen kann. Sie wird daher für die Geldanlage allenfalls geringfügig bessere Konditionen anbieten als die EZB. Der Strafzins bei der EZB ist in einigen Fällen schlicht die günstigste Option.
Doch wäre es nicht am einfachsten, die Bank würde das überschüssige Geld einfach bei sich selbst anlegen? Hier kommt eine Besonderheit des Buchgelds zum Tragen: Anders als Bargeld lässt es sich nicht einfach sammeln. Das funktioniert bei Banken genauso wenig wie bei Privatpersonen. Schließlich ist die Bank dazu verpflichtet, ihre Überschüsse immer zunächst bei der EZB anzulegen. Würde eine Bank Buchgeld bei sich selbst anlegen, würde sie sich das Geld auch gewissermaßen selbst schulden – die Überschüsse blieben aber in gleicher Höhe bestehen.
Über Nacht bei der Zentralbank
Überdies benötigen Banken stets eine gewisse finanzielle Reserve, die sie schnell abrufen können, um beispielsweise einen neuen Kredit oder die Einlagen ihrer Kunden auszuzahlen. Zugleich erhalten Banken tagtäglich Geld, etwa durch eingehende Überweisungen auf Kundenkonten oder zurückgezahlte Kreditraten. Abgerechnet und abgewickelt werden die gesamten bargeldlosen Zahlungen an jedem neuen Banktag. Das Guthaben der Bank bei der EZB wird also beinahe täglich neu bestimmt. Weil das eingehende Geld bereits am nächsten Tag wieder abgerufen werden kann, spricht man davon, dass es „über Nacht“ bei der EZB geparkt wird. Besonders problematisch sind die Reserven aber vor allem dann, wenn Banken hohe Beträge über lange Zeiträume bei der EZB deponieren. Solange sie keinen Weg finden, die Mittel anderweitig einzusetzen, zahlen sie dafür jeden Tag Strafzinsen.
Die Zinsen der EZB bilden also eine wichtige Geschäftsgrundlage jeder Bank im Euroraum, sowohl bei Tagesgeld- oder Girokonten als auch beim Geldverleih. Das spiegelt sich auch in der Zinsgestaltung der verschiedenen Geschäftsbanken wieder. Daneben sind aber natürlich auch noch weitere Faktoren für die Zins- und Preisgestaltung der einzelnen Bank ausschlaggebend. Reine
Onlinebanken etwa haben stets einen gewissen Kostenvorteil gegenüber traditionellen Geldhäusern, weil sie sich das teure Filialnetz sparen. Auf der Suche nach
den seltener werdenden kostenlosen Girokonten, gutverzinstem Tagesgeld oder dem günstigsten Kredit werden Kunden daher häufig bei ihnen fündig.